Grasen wie Mammut und Auerochse

Grossflächige, extensive Weidegebiete sind als Landschaftsform uralt. Bis vor rund 200 Jahren dominierten sie unsere Landschaften. Doch inzwischen gibt es sie im Schweizer Flachland nicht mehr. Ein innovatives Projekt möchte solche «Wilde Weiden» nun wieder einführen.

Zuerst gestalteten Mammuts, Riesenhirsche und Wollnashörner die hiesige Landschaft, später waren es Auerochsen, Wildpferde, Elche und Rothirsche. Ihr Frass schuf ein unvergleichliches Mosaik mit fliessenden Übergängen. Danach wurde ihre ökologische Rolle durch Nutztiere übernommen. Erst um etwa 1800 veränderte sich das grundlegend: die Nutztiere kamen in Ställe und die früher beweideten Landschaften wurden gemäht. Damit sind extensive Weidelandschaften in den tieferen Lagen der Schweiz weitgehend verschwunden.

Das Projekt «Wilde Weiden» will diese nun zurückbringen. Dafür sollen im Lauf des Projektes mindestens vier Wilde Weiden entstehen, die als Pilotversuche dienen. Die Flächen dafür sollen mindestens 25 Hektar gross sein und sich in Tieflagen bis 1000 Meter über Meer befinden. Das Projekt befindet sich noch ganz am Anfang. So soll in einer Konzeptionsphase bis Ende 2024 ausgearbeitet werden, wo sich potenzielle Weidegebiete befinden, und rechtliche Fragen zu Rahmenbedingungen und Herausforderungen sollen geklärt werden.

In Deutschland werden solche grosse Weiden schon seit rund 20 Jahren erfolgreich im Naturschutz eingesetzt. Denn unzählige Tier- und Pflanzenarten, die sich über Jahrausende an die extensiven Weidelandschaften angepasst hatten, verloren ihren Lebensraum und ihre Bestände gingen zurück oder verschwanden. Auf Wilden Weiden finden sie wieder ihr gewohntes Habitat. Die ganzjährige, sehr extensive Beweidung mit Weidetier-Robustrassen auf sehr grossen Flächen und ohne Zufuhr von Futter bedeutet, dass die Flächen im Sommer unternutzt sind, während im Winter die Gehölze und Problempflanzen angefressen werden.

Dung und Trittschäden können auf kleinen Flächen unerwünschte Wirkungen haben. Wenn sie jedoch auf grosse Flächen verteilt werden, stellen sie eine Strukturbereicherung dar, die die Biodiversität erhöht: Durch die heterogene Nutzung kommen auch weideempfindliche Pflanzenarten zum Blühen. Vom Abbau des Dungs ernähren sich zahlreiche Insekten. Es entsteht ein Lebensraummosaik mit allen Übergängen von lokal stark genutztem Weiderasen bis zu lichtem Wald. Damit leisten Wilde Weiden einen Beitrag zur Landschaftsqualität. Und gewisse Tiere, beispielsweise Vogelarten, brauchen grosse Flächen, um überlebensfähige Populationen sicherzustellen.

Gleichzeitig will das Projekt auch für die Biodiversität sensibilisieren. Die Wilden Weiden könnten je nach Projekt auf markierten Wegen begehbar sein und so als Naherholungsgebiete dienen und für die Umweltbildung genutzt werden. Im Sinne der ökologischen Infrastruktur (siehe auch FLS-Bulletin Nr. 63) könnten die Wilden Weiden ebenso als Kerngebiete für die Biodiversität dienen, in denen die Weidetiere beispielsweise Samen im Fell transportieren und so zur Vernetzung beitragen.

Zudem bieten Wilde Weiden die Chance der Nutzung von vernässten Böden. Damit könnten Sie Landnutzungskonflikte im Zusammenhang mit Flussrevitalisierungen entschärfen. Ebenso sind sie eine Alternative für ehemalige, drainierte Moorböden, die durch die ackerbauliche Nutzung abgesackt sind. Denn im Unterschied zu letzterem wirkt der Boden bei extensiver Beweidung als Kohlenstoffsenke. Damit wirkt er positiv auf die Klimabilanz.

An einer Fachtagung Naturschutzweiden von Pro Natura Baselland im September vergangenen Jahres wurde zur Gründung einer Arbeitsgruppe zu Wilden Weiden ausgerufen. Um den Elan zu nutzen, hat der FLS angeregt, schnell ein Gesuch für ein innovatives Projekt zu lancieren. Dieses wurde gewährt und der FLS unterstützt die Konzeptionsphase des Projektes mit 30'000 Franken. Langfristig möchte die Projektträgerschaft, dass wenn die Pilotprojekte erfolgreich sind, künftig rund 20 bis 50 Wilde Weiden den Naturschutz in der Schweiz ergänzen.

Fotos: Simon Lehnert

15.06.2023